Menschsein – das kooperative Wesen?

Sind wir schon so weit?


Wir Menschen sind soziale Wesen, keine Wasserpolypen, die sich allein durch ihr nasses Leben schlagen müssen oder dürfen. Je nachdem aus welcher Perspektive man es sich ansieht. Es fängt schon basal bei der Fortpflanzung an. Wir brauchen die oder den andere(n). Ohne den Mitmenschen geht es nicht und wird es, wenn wir unsere Art erhalten wollen, auch niemals gehen. Wir sind voneinander abhängig. Wir können das auf der Mikroebene betrachten aber genauso auf der Makroebene, wenn wir uns eine Gesellschaft ansehen. Bei Letzterem ist zwar die Biologie nicht das zentrale Thema, dennoch ähneln sich Mechanismen.


Bleiben wir zuerst auf der Mikroebene, der Familie oder gehen wir noch eine Ebene tiefer und betrachten die Freundschaft. Das Zusammenleben liegt im Austausch. Dadurch werden wir erfolgreich. Wir unterscheiden uns von dem Einzelgänger dadurch, dass wir Informationen miteinander teilen. Sicherlich der überwiegende Teil der Gespräche als Datenmüll in Form von Smalltalk, aber auch sinnvolle Informationen, wenn ich nicht weiter weiß und geht es nur um den Weg zum Bahnhof, den ich erfrage. Darauf kann ich noch verzichten, mich allein durchboxen, mit meinen unnötigen Irrwegen, die ich gehen muss, um an mein Ziel zu kommen, wenn ich auf das Wissen der anderen nicht zurückgreifen kann oder will. Dann verpasse ich auch mal meinen Zug. 


Wenn es dann um unseren Erhalt geht, führt am Austausch von genetischem Material kein Weg vorbei. Der Einzelgänger in den Rocky Mountains kann seinen privaten Traum vom Leben allein leben, der Allgemeinheit bringt er nichts. Es ist sein gutes Recht, er kann es so machen, es ist seine individuelle Entscheidung. So weit sind wir als Menschen schon in unserer Entwicklung. Ein gewisser Luxusfaktor der Gesellschaft, wenn es nur Einzelne machen. Der Erfolg über seine Generation hinweg, wird er aber nicht einfahren. Er lebt, vergeht und hinterlässt maximal eine Blockhütte, die irgendwann zerfällt und von der Natur wieder assimiliert wird. Sein Weg endet vollständig, es sei denn er hat zumindest ein Tagebuch geführt, was mit etwas Glück gefunden wird. Zumindest dann ist ein gewisser Mehrwert für andere vorhanden. Das ist für das Individuum ok aber in der Regel nicht für die Population. Da es bislang nur einzelne tun, hat es keine negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Würden es allerdings alle machen, wären die Konsequenzen fatal.


Der sich fortpflanzende Mensch hinterlässt Kinder, in denen er durch seine Gene und mittels Erziehung, also seine Ansichten, weiterlebt. Diese werden von seinen Kindern kritisch hinterfragt, abgeändert, verbessert oder verworfen, was auch eine Weiterentwicklung bedeuten kann. Auch Fehler sind Erkenntnisse, wenn ich diese weitergebe. Die kleinste Ebene versucht sich mit den gegebenen Umständen so auseinanderzusetzen, dass sie überleben. "Überleben" im Sinne von über sein Leben hinaus. Und das muss auch nicht durch Kinder, als alleiniger Weg, der Fall sein, sondern kann auch durch Wissensvermittlung stattfinden. Wollen wir etwas weitergeben gibt es unterschiedliche Wege dies zu tun, solange wir im Kontakt bleiben.
Auf der Makroebene ist es die Gesellschaft, die in sich funktionieren will, damit beispielsweise ein Staat langfristig bestehen kann.


Gehen wir über die eigenen Staatsgrenzen hinaus, ist es das Zusammenspiel der Länder untereinander. Der eine Staat hat seine Kompetenzen in dem Bereich, der benachbarte Staat in einem anderen Bereich und wieder geht es um Austausch, ob Handel oder Wissen, ist dabei gleichgültig. Auch auf dieser Ebene sind wir im Kontakt zueinander.


Was passiert aber, wenn ich mich über allem erhöhe? Wenn ich nur meinen Vorteil im Fokus habe und dieses Prinzip als Ausschließlichkeit für mich definiere? Dann überfalle ich vielleicht den Nachbarstaat und versuche diesen in mich aufzunehmen. Das kann ich so lange betreiben, bis es nur noch einen Staat gibt. Lassen wir mal die ethisch-moralischen Gedanken beiseite. Aber was ist dann das Ziel? Am Ende würde nur der eine Staat übrigbleiben. Und dann?


Es würde ein Faktor wegfallen: die friedliche Konkurrenz oder der Wettstreit auf Staatsebene. Wir entwickeln uns nur dann weiter, wenn andere in bestimmten Bereichen schneller lernen, als wir das können. Dafür benötigen wir unterschiedliche Strukturen, die das Lernen fördern. Nur durch diese Unterschiedlichkeit ergeben sich Möglichkeiten, die von anderen genutzt werden können. Entfällt die Konkurrenz, werden wir langsamer oder bleiben im schlimmsten Fall stehen. Der Ansporn, die Lust der Weiterentwicklung, das was uns Menschen ausmacht, entfällt. Ich würde sogar behaupten, dass dies eine Grundlage des Menschen ist. Denn nicht umsonst haben wir uns so schnell und so erfolgreich entwickeln können. Wir bleiben aber stehen oder gehen zurück, wenn wir unseren Wissenszuwachs nicht mehr in dem bisherigen Maß generieren können. Vielleicht können wir uns auch nur noch an den gegebenen Umweltbedingungen anpassen, damit wir überleben. Und weiter? Nein, ein weiter wird es dann nicht mehr geben. Die Gefahr des Aussterbens wird größer. Bestimmt wird sie nicht zur Zwangsläufigkeit, denn wir kommen auch auf einem niedrigeren Niveau klar. Wir nähern uns aber einem Stillstand an.


Ich persönlich halte davon nichts. Mein Ansporn als Mensch ist es, von den Beispielen der anderen zu lernen, um mich zu verbessern. Vielleicht bin ich sogar in einem Bereich besser und kann mein Wissen anderen geben. Dann hätte ich, außerhalb meiner Fortpflanzung, einen weiteren konkreten Nutzen für andere.
Die heutige Tendenz in dieser Welt ist aber ein nicht zu Ende gedachter Weg und damit ein möglicher Irrweg. So wie es Sieger nur dann gibt, wenn es auch Verlierer gibt, ist es auch auf allen anderen Ebenen zu betrachten. Erfolg werden wir nur haben, wenn andere einen Misserfolg haben. Die Kunst liegt darin ein friedliches Gleichgewicht zu schaffen, wo beides nebeneinander existieren darf. Mal gewinnt der eine, mal der andere. Ein steter friedlicher Wettstreit und damit ein Motor der menschlichen Entwicklung.
Es ist wie das Fahrrad. Ich komme nur voran, wenn mal die eine, mal die andere Pedale oben ist, die ich runtertreten muss. Gibt es nur die eine Pedale, die unten ist, rolle ich vielleicht ein Stück und bleibe dann stehen.


Die Aufgabe der Macht ist es, dieses Gleichgewicht friedlich nebeneinander zu schaffen und zu pflegen. Sollte eigentlich kein Problem sein, da wir am Ende des Tages alle dieser einen Art angehören. Wird das von der bestehenden Macht nicht gesehen, ist es ein Machtmissbrauch, denn dann geht es nur um den eigenen Bauch und das würde der Einzelgänger in den Rocky Mountains genauso machen. Und wo das hinführt, steht weiter oben. Am Ende lacht nur der Aaskäfer und der gehört einer anderen Art an.
Die Geschichte zeigt diesen Weg immer wieder von neuem auf. Der eine oder andere Staatenlenker scheint aber auf dieses Wissen keinen Zugriff zu haben. 


Damit sind wir alle in der Pflicht, ihnen dieses Wissen zu vermitteln oder sie gar nicht erst in diese Position zu hieven. Daraus folgt, dass nicht der Machtinhaber fehl läuft, sondern wir, die wir dieser Macht folgen und fördern, denn wir als Gesellschaft sind es, die diese Strukturen immer wieder neu schaffen. Wieder und immer wieder. Wir scheinen im Kollektiv also noch nicht so weit zu sein. Wir wiederholen diese Schleife erneut.


Aus meiner Sicht ist es zu einfach von der gesellschaftlichen Manipulation durch Medien oder Autokraten zu sprechen und diese als Entschuldigung für den falschen Weg heranzuziehen, da jeder die Möglichkeit der Selbstreflexion hat und das Gespräch mit anderen führen kann, wenn ihm Wissen fehlt.


Die Zukunft wird zeigen, ob der Mensch tatsächlich lern- und überlebensfähig ist. Im Augenblick sind wir es noch nicht.

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Auch in englischer Version erschienen!

Niederschläge – wer die Veränderung nicht erkennt, ertrinkt

Wolken ziehen auf. Der Himmel verdunkelt sich. Aus der Windstille wird Wind. Erst bewegen sich Blätter, dann Äste, dann ganze Bäume. Unruhe breitet sich aus. Die ersten Vögel steigen auf, verlassen den Ort. Ich blicke ins Tal, dort wo der Bach verläuft. Friedlich, langsam, leise gurgelnd.

Die Wolkenreihen schließen sich, der blaue Himmel ist verschwunden. Aus grau wird dunkelgrau, wechselt zu violett. Es blitzt, der Donner noch weit, erreicht mein Ohr verzögert. Dafür zerzaust der Wind meine Haare, auf meinem Arm der erste Tropfen. Noch klebt er an seiner Einschlagstelle.

Der Wind beginnt zu sprechen. Die Regentropfen auf dem Boden trappeln, marschieren, rennen. Immer mehr Blitze versuchen ein dauerhaftes Licht zu zünden, Donnergrollen geht ineinander über.

Die Schleusen öffnen sich, aus Regen wird Sintflut, der Bach schwillt. An den Ufern Abgelagertes wird abtransportiert, es hemmt den Fluss, das Leben muss jetzt fort.

Rennende Regentropfen sammeln sich, bilden Gemeinschaften in Pfützen, begrüßen andere und gehen gemeinsam auf Wanderschaft, das Ziel der Bach, der sich entwickelt und zum Fluss wird. Die Freude an Bewegung, der Veränderung steigt, Tropfen springen, bilden Schaum auf dem Strom. Er verändert sich, nimmt immer mehr Ufer weg. Die Schnecke im Schilf ist zu langsam. Nur im Haus verstecken reicht nicht mehr. Wer das Mahnschreiben nicht annimmt, muss gehen unter fremdbestimmten Vorgaben, wird geführt.

Andere sind geschickter und handeln, suchen Lösungen. Mal erfolgreich, mal erfolglos. Veränderung ist der mögliche Sieg, das Loslassen des Schilfhalmes, des Bestehenden, das Muss. Steigt die Flut, besteigt der Käfer das Floß und reitet auf den Wellen, während andere versinken. Es gibt sogar Käfer, die den Ritt feiern. Ich bin demütiger, stiller. Es braucht Mut, den Schritt auf das Floß zu wagen. Dem Mutigen gehört die Zukunft, der Zweifel bleibt allenthalben, darf nicht führen.

Die Strömung transportiert eine Zeitlang, bis sich alles wieder beruhigt an einem anderen Ort mit anderen vielleicht für mich günstigeren Bedingungen. Die neue Chance ohne Altes, was mich hinderte, mir die Luft nahm.

Der Autor Martin Kreuels über die Entstehung seines Kurz-Essays

Die Idee zu dem Text kam mir, als es in meinem beruflichen Umfeld um Veränderungen und Weiterentwicklung ging und ich sehen musste, wie schwer sich andere mit Veränderungen tun. Ich wollte einen Text schreiben, der nicht wie die üblichen Businesstexte das Thema beleuchtet. Der Text sollte eher aus der Sicht der Natur geschrieben werden, an einem kleinen Ereignis, an irgendeinem unbedeutenden Bachverlauf während eines Regenschauers. Also einem Ereignis, was täglich überall stattfindet und keine Beachtung erfährt, aber das ist, womit sich viele einfach schwer tun. Das Alltägliche, was uns immer mal wieder schubst.

Letztlich ist ein Text daraus geworden, der nicht nur für die Veränderung in einem Beruf steht, sondern für viele weitere Lebenslagen genauso gilt.

Naturschutz ohne Emotionen

 Das Engagement in einem gemeinnützigen Verein ist Ausdruck eines inneren Antriebes. Nach Wikipedia lautet die Definition von Ehrenamt: "Ein Ehrenamt ist die Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes oder einer gesellschaftlichen Aufgabe im Gemeinwohlinteresse ohne Einkunftserzielung, [...]. Die Übernahme eines Ehrenamts ist in der Regel freiwillig." Ein unfreiwilliges Ehrenamt ist beispielsweise die Bestellung zum Wahlhelfer.

Deutlich ist dies im Naturschutz zu spüren. Menschen verbringen endlose Stunden ihrer Freizeit in der Natur, um Tiere und Pflanzen vor dem Aussterben zu schützen. Eine per se identitätsstiftende Tätigkeit, so definiert sich das Ehrenamt, wird aber häufig zu einer zwingenden Notwendigkeit.

"Mache ich nichts, werden die Tiere und Pflanzen aussterben. Ich muss es also tun, denn der Nachbarn tut nichts. Es macht ja sonst keiner."

Die Aufgabe des eigentlichen Ehrenamtes wird auf eine höhere Ebene gehoben. Auch findet eine Abgrenzung innerhalb der ehrenamtlichen Community statt, da ein Gesangsverein nicht denselben Stellenwert hat.

Nun ist es nicht verkehrt, wenn ein Mensch mit seinem Ehrenamt eine hohe Identifikation verbindet. Realistisch müssen wir auch sagen, dass es auch Unterschiede innerhalb des Ehrenamtes gibt. Häufig wird über viele Jahre hinweg eine fachliche Kompetenz erworben, die den sogenannten Profi, also die Person, die für eine ähnliche Aufgabe bezahlt wird, übertrifft. All dies will und darf gar nicht in Abrede gestellt werden.

Das Problem beginnt dann, wenn mit der Aufgabe Emotionen verbunden werden. Jetzt wird es richtig schwierig, da das Ehrenamt im überwiegenden Teil eine emotionale Angelegenheit ist. Es geht um Selbstverwirklichung. Damit ist der Aufbau eines sachlichen Abstandes problematisch.

Aus meiner persönlichen Sicht muss in der aktuellen Zeit ein neuer Weg, der mit einem zukunftszugewandten Umdenken verbunden ist, beginnen. Ein Umdenken ist schwierig, wenn der bisher begangene Weg eine lange und zumeist erfolgreiche Tradition beinhaltet, wie es im Fall des Naturschutzes der Fall ist. Hätten wir den ehrenamtlichen Naturschutz nicht, wäre vieles erheblich schlechter.

Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte erfolgte vom ausschließlichen Ehrenamt über Mischstrukturen, in denen Ehrenamt und finanzierte Stellen parallel existierten, hin zu häufig vollfinanzierten Strukturen in der heutigen Zeit, beispielsweise die zahlreich entstehenden Landschaftspflegeverbände.

Dabei entsteht auf Seiten des Ehrenamtes ein großer Frust.

"Subjektiv wird mir, dem engagierten Vereinsmitglied, eine Struktur vorgesetzt, die es anscheinend besser kann. Damit verliere ich meine bisherige Anerkennung, wenn ich nicht sogar überflüssig werde."

Woher kommt diese Annahme?

Die neuen Strukturen haben die Möglichkeiten signifikant mehr Zeit im Vergleich zum Ehrenamt zu investieren und sind losgelöst von der Intention der persönlichen Verwirklichung. Sie können sich hauptamtlich um eine vormals ehrenamtliche, meist freizeitgebundene Aufgabe kümmern und sind in der Lage schneller Projekte umzusetzen.

Ein zusätzlicher Frust entsteht dort, wo es um das liebe Geld geht. Vereine kämpfen um jeden Cent, sind auf Sponsoren angewiesen, betteln um Mitgliedschaften, müssen jeden Euro umdrehen, bevor sie ihn einsetzen können. Auch das muss in der Freizeit geschehen, was mich als Ehrenämtler von meinem eigentlichen Wunsch, dem Schutz der Natur, abhält, aber eine Notwendigkeit für den Verein darstellt, die ich wohl oder übel auch noch machen muss. Neue Strukturen hingegen werden von der öffentlichen Hand gefördert. Scheinbar gibt es hier große finanzielle Möglichkeiten, die wesentlich leichter zu bekommen sind. Auf die ich im Verein aber nur sehr begrenzt Zugriff habe. Gefühlt werde ich absichtlich finanziell knappgehalten.

Um es vereinfacht zu sagen: "Da dringen fremde Leute in meinen Bereich ein. Sie drängen sich in mein Arbeitsfeld, für das ich viele Jahre in meiner Freizeit gekämpft habe. Ich wollte etwas bewegen für uns alle und jetzt kommen andere und ihnen wird das Geld 'nachgeworfen'. Und ich, der sich seit Jahren die Finger wundtippt, der gegen Strukturen ankämpft, wird einfach übergangen."

Ist das so?
Nein!

Zum einen sind die sogenannten Leute in aller Regel hervorragend ausgebildete Personen, die seit Jahren in anderen Bereichen des Naturschutzes viele Erfahrungen gesammelt haben und die, gerade im Sektor Naturschutz, natürlich auch die Vereinsarbeiten kennen. Zum anderen liegt hier eine riesige Chance für die etablierten Vereine, die offensichtlich nicht gesehen wird:

Als Ehrenämtler muss ich mich, aufgrund des zeitlichen Zwanges, den ich habe, auf Kernbereiche konzentrieren. Ich muss da tätig werden, wo die Wahrscheinlichkeit möglichst hoch ist, Erfolg zu haben. Effektivität ist der Kampfbegriff. Dies führt dazu, dass ich in den allermeisten Fällen den Status quo in einem Projekt erhalten will. Ein Mehr ist aufgrund der personellen, zeitlichen und finanziellen Ressource meist nicht möglich.

Nehmen wir als Beispiel die Landschaftspflegeverbände (LPV) des Landes Hessens. Sie wurden, nach einer schwierigen Startphase, in den vergangenen Jahren rasant und in großer Zahl gegründet.

Jetzt wechseln wir noch mal die Sichtweise auf den gemeinnützigen Verein: Als Mitglied des Vereines stehen mir mit den vollfinanzierten Strukturen hauptamtliche Kollegen zur Seite, die für das Gleiche kämpfen. Ihnen kann ich meine Erfahrungen weitergeben. Ich kann aus Sicht des Vereins dieses Potential nutzen, um meine Ziele, die nicht mein Privateigentum sind, mit einer höheren Chance zu realisieren.

Der Schritt im Kopf ist ein Schwieriger. Meine Ziele sind meine Kompetenz, die ich mir in vielen Jahren mühsam erarbeitet habe, mein Baby. In positiver Betrachtungsweise gebe ich meine Erfahrungen weiter, damit andere, diese zum Erfolg bringen können. In negativer Sichtweise werden sich andere mit meinen Errungenschaften schmücken und ich verliere vielleicht meine bisherige Position im Gesamtgefüge der Naturschutzcommunity.
Das ist die notwendige Transformation, die ansteht. Gleichzeitig ist es ein schmerzhafter Prozess des Loslassens.

Die Lösung liegt in der Mitte: Die finanzierte Struktur setzt die Kompetenzen des Ehrenamtes um, bleibt aber weitgehend Dienstleister. Das Ehrenamt bekommt die Zeit sich um die grundsätzlichen Fragestellungen zu kümmern und wird befreit von den zeitaufwändigen Kleinaufgaben, die behindern und es unmöglich werden lassen, das Große und Ganze im Blick zu haben. Die Rolle des Vereins wird sich ein Stück weit verändern. Gleichzeitig ist die finanzierte Struktur aber auch nicht der extern finanzierte Angestellte des Vereins, da dort ebenso Kompetenzen, Erfahrungen und Ideen vorhanden sind. Letztlich bietet die vollfinanzierte Struktur einen Mehrwert.

Naturschutz ist keine Privatsache auch nicht hinsichtlich eines etablierten Vereines. Wir leben in einer Zeit, in der es weitreichende Umbrüche gibt. Die aktuelle Situation ist ein Aufbruch, keine Frage, sie ist schmerzhaft, aber Naturschutz geht nur nach vorne. Erfolge in der Vergangenheit sind schön in der persönlichen Rückschau und sollten anerkannt werden. In der Zukunft haben sie keinen Wert.

Wenn das Mitglied eines gemeinnützigen Vereins es schafft, seine fachliche Expertise emotionslos zu betrachten und sie in die neuen Möglichkeiten einbringt, gewinnen wir alle und auch der Verein behält seine Position als Ort der fachlichen Orientierung.

Der Kipppunkt und die Glaskugel

...oder warum wir nicht aus Hypothesen lernen

 Alle Welt spricht von Kipppunkten und warnt davor diese zu erreichen. Die Gefahren, die danach auf uns warten seien zu groß. Es würden Vorgänge losgetreten, die wir nicht mehr einfangen könnten. Der Schaden, der dann auf uns warten würde, wäre katastrophal.

Wir Menschen haben ein Problem. Der Weg zum Kipppunkt ist unsere Realität, in der wir leben. Wir diskutieren, hadern, sind wütend, wir kleben uns an Straßen fest, wir warnen, wir reden den ganzen Tag, erstellen Studien. Der Kipppunkt, den wir vorzeichnen, ist aber der Gang durch eine Tür. Das blöde ist nur, dass diese Tür keinen Spion hat. Wir sehen nicht durch sie hindurch, sondern mutmaßen, was auf der anderen Seite sein könnte. Sicherlich wissenschaftlich berechnet, sehr wahrscheinlich und absehbar, aber, und das ist ein großes Aber, es bleibt eine Hypothese. Wie wahrscheinlich sie auch sein mag, sie ist noch keine Realität. Vielleicht zum Glück!

Und damit haben wir den Salat, denn das ist unser eigentliches Problem als Menschen. Wir lernen nicht durch die Aufstellung von Hypothesen. Die Wissenschaftsredakteurin und Moderatorin im Deutschlandfunk Kathrin Kühn hat im Frühjahr 2023 einen sehr interessanten Artikel zu "Sozialen Kipppunkten" geschrieben.

Die Journalistin Jeanette Hagen hat in einem Beitrag auf LinkedIn dazu geschrieben, wie uneinheitlich wir agieren und auf die Katastrophe zusteuern.

Es ist wie immer in unserer Geschichte, es verdichtet sich, es kumuliert und wir laufen auf die nächste Katastrophe zu.

Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht den Gegenbeweis antreten können. Nehmen wir mal an, dass wir auf dem Weg zur Katastrophe, diese vor ihrem Eintreten abwenden würden. Wäre sie denn auch wirklich eingetreten? Der Lerneffekt aus unserem Handeln wäre dann nicht gegeben und würde Hypothese bleiben. Diese haben wir aber weiter oben als für uns nutzlos erkannt, denn der Mensch lernt nicht aus der Hypothese.

Es ist wie in der Natur. Pflanzen und Tiere, zu denen wir übrigens auch gehören, reagieren nicht auf Hypothesen, sondern auf Realitäten. Ist keine Nahrung da, wandern die Tiere ab oder verhungern. Das sich die Nahrung eventuell zukünftig verknappen wird, wird als Wahrscheinlichkeit nicht gesehen. Das Ergebnis ist, dass ein Teil die Veränderung nicht meistern wird und ein anderer Teil, der auf die Veränderung schneller reagieren konnte oder was anderes gegessen hat, überleben wird. Aber eben immer erst nach dem Eintreten der Veränderung.

In der Natur sind gewisse Mechanismen vorhanden

Die Natur hat aber eine ganze Bandbreite von Individuen geschaffen, die nicht alle gleich sind, quasi das Sicherheitsnetz. Der eine oder andere wird von der Gaußschen Normalverteilung gehört haben. Es gibt überall Individuen, die es anders machen als die Mehrzahl. Als Beispiel wäre die Mönchsgrasmücke zu nennen, die überwiegend im Herbst gen Süden zieht. Ein Teil flog aber immer schon nach England. Lange Zeit haben die Biologen gerätselt, warum sie das machen. Jetzt nehmen die Auswirkungen des Klimawandels zu und die Vögel aus England kommen besser durch die Winter und sind im nächsten Frühling schneller in ihren Brutrevieren. Die Kollegen aus Afrika haben einen längeren Weg und sind im Nachteil, weil sie mehr Energie für den langen Flug investieren müssen. Langfristig werden sich die Tiere aus England durchsetzen, weil sie einen Vorteil haben.

Nehmen wir mal an, wir Menschen ticken genauso, dann wäre die Konsequenz, dass wir einen Teil von uns abschreiben müssten, weil sie nicht die Hypothese als mögliche Wahrscheinlichkeit erkennen können. Wir würden also auf die Reduktion der menschlichen Bevölkerung hinsteuern. Die Übriggebliebenen hätten dann den zukünftigen Job, den neuen Weg zu gehen, bis auch dort die nächste Katastrophe wartet. Und damit würde ein Mechanismus entstehen von hinfallen, aufstehen, Krone richten, wieder hinfallen etc.

Vielleicht ist der aktuelle Unterschied aber doch, der uns von der Mönchsgrasmücke abgrenzt, dass wir Menschen in der Lage sind Hypothesen und Wahrscheinlichkeiten zu benennen und mögliche Aspekte in der Zukunft zumindest in ihren Umrissen zu skizzieren. Die Glaskugel ist noch etwas matt. Der kommende Schritt wäre, auf die benannten Hypothesen dann zu reagieren, wenn der absehbare Schaden noch nicht eingetreten ist, und vielleicht macht diesen Entwicklungsschritt nicht jeder mit.

Dann wäre das aber zumindest der Beweis, dass wir die gleichen Mechanismen in uns tragen, wie die Mönchsgrasmücke.

Was bleibt, ist nicht die Hypothese, sondern die Frage, ob wir Interesse daran haben, uns als Menschen zu erhalten. Diese Frage scheint aktuell noch nicht entschieden zu sein.

Drohnenperspektive  

Kosten-Nutzen-Analyse: positiv. Eigene Verluste: null

Offene, weite Landschaft. Wenige Bäume, keine Wälder, allenfalls sind kleine Gebüschgruppen eingestreut, dafür Wiesen mit Trichtern. Viele Trichter, teilweise gefüllt mit Regenwasser, noch ohne Frösche, vielleicht im nächsten Jahr. Sie sind noch nicht eingewandert. Andere schon. Sind täglich hier und schaffen neue Trichter. Spuren wie Feldwege durchziehen die Ebene, kreuz und quer, wie ein Spinnennetz. Die Landschaft bretteben, graubraun, nicht bunt. Ich fliege, wie ein großes Auge, über sie hinweg. Surre lautlos, schaue mal dorthin, mal dahin, schaue nach unten, bleibe stehen in der Luft, steige auf, steige ab, um mir eine Kleinigkeit unten am Boden genauer ansehen zu können.

Ich bin eine handelsübliche Drohne, unter mir hängt eine Handgranate, schaukelt durch meine Flugbewegungen mal nach rechts, mal nach links, mal nach vorne, mal nach sie wissen schon.

Ich bin schnell, rase dahin, mich steuert irgendwer, von irgendwo.

Unter mir ein Gehölzriegel. Ich sinke, schaue mir alles gut an, finde einen russischen Panzer. Steige auf, warte und beobachte. Die Luke öffnet sich, ein grünbehelmter Mensch ohne Gesicht erscheint, sucht die Ebene mit einem Fernglas ab. Verschwindet wieder in seinem Panzer, die Luke bleibt geöffnet. Er muss lüften, Männerschweiß in einer Sardinendose, einer hat gefurzt.

Ich sinke, versuche mich über die geöffnete Luke zu positionieren, meine Kamera fokussiert, richtet aus, filmt, dokumentiert, tonlos. Die Handgranate unter mir schaukelt, beruhigt sich, bleibt in Lage. Ich löse den Verschluss über meine Fernbedienung, die Granate fällt. Freier Fall, ausgerichtet über die Luke. Die Kamera filmt den Absturz der Granate. Kaum größer als eine Apfelsine. Sie wird kleiner und kleiner, verschwindet in der Luke, perfekt gezielt, explodiert.

Ich steige auf, ein kurzer Blitz, dann ein wenig Rauch, der die Luke verlässt. Ich steige weiter auf, immer noch tonlos, weiche etwas seitlich aus. Bessere Perspektive für das Gesamtbild. Aus dem Rauch wird Feuer, die Munition innerhalb des Panzers entzündet sich, aus fackelndem Feuer werden Feuerstrahlen, der Panzer explodiert. Nicht sofort, alles dauert, ist eine chemische Reaktion. Durchzünden.

Mein Einsatz: eine Steuerperson, eine Granate Wert 45 $, eine Drohne Wert 750 $.

Mein Ergebnis: ein Panzer T-14 Armata Wert 7 Mio. $ zerstört, drei Personen aus dem Spiel genommen, wie es mal Prinz Harry sagte.

Kosten-Nutzen-Analyse positiv, eigene Verluste null.

Die Kamera schwenkt zur Seite, fliegt zurück über offene Landschaften, bretteben, graubraun, wortlos, tonlos, damit ich nicht höre, wie drei Menschen erst verletzt werden, ihnen Arme und Beine abgerissen werden und dann verbrennen bei lebendigem Leib, weil sie nicht flüchten können. Ihre Schreie vor Schmerzen, bis sie sterben dürfen, wenn der Panzer endlich explodiert und sie in Stücke reißt, höre ich nicht. Sie frei sind, ihre Mütter zu Hause in sich zusammensacken, weil sie ihre Söhne verloren haben, die Frauen ihre Männer, die Kinder ihre Väter. Ein Grab wird es nicht geben, was soll auch beerdigt werden. Das, was übrigbleibt, holen sich zwei Elstern, ein Fuchs und vier Mäuse. Der Rest für die Regenwürmer. Ein Brief wird kommen, vielleicht. Wir danken für ihren Einsatz. Dürre Worte, maschinell erstellt, als letzte Verbindung, Serienbrief.

Wir sind Zuschauer, immer wieder, kostenlos, täglich, trinken dabei Kaffee, beißen in unser Schokocroissant. Warten darauf, ob doch noch einer aus dem brennenden Panzer springen kann und vor unseren Augen verbrennt. Ja, wieder drei Russen weniger, während zur gleichen Zeit drei Ukrainer auf eine Landmine fahren, irgendwo, ohne Drohnenaufnahme. Sie werden ein paar Tage später gefunden, weil die Krähen eine kostenlose Futterstelle gefunden haben.

Sinnlosigkeiten ohne Ende. Zum Glück tonlos, sonst wäre es vielleicht doch nicht auszuhalten und mir würde der Kaffee nicht schmecken. Es wäre auch zu schade um das Schokocroissant, das schmeckt am besten frisch.

Das Plagiat in der Trauerbegleitung

Laut Duden ist ein Plagiat die "unrechtmäßige Aneignung von Gedanken, Ideen o. Ä. eines anderen auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet und ihre Veröffentlichung." Mir fehlt hier ein Bereich, der schlecht prüfbar ist: das emotionale Plagiat!

Irgendjemand hat einen Gedanken entwickelt und dazu einen Text verfasst, veröffentlicht oder gar dazu ein Buch geschrieben. Geistiges Eigentum eines Menschen. Erworben durch mühsame Studien oder durch noch tiefergehende eigene Erfahrung. Wir Menschen haben die Eigenschaft, Wissen gezielt weitergeben zu können, damit wir uns als menschliche Population weiterentwickeln können. Keine zufälligen Beobachtungen anderer, die durch Zufall übernommen werden, sondern die aktive und bewusste Weitergabe in Wort, Bild und Schrift. Unser Wissen geben wir bereits an unsere Kinder weiter, damit sie von unseren Erfahrungen lernen können. Eine Basis, auf der sie aufbauen können. Meistens müssen sie aber ihre eigenen Erfahrungen machen. Ich weiß, wovon ich rede als Vater.

Außerhalb der Familie bieten wir unsere Erfahrungen ebenfalls an. Geben sie in Seminaren und Kursen weiter, wir sind Lehrende. Bücher schreibende Autoren auf der beruflichen Ebene, um davon zu leben. Es gibt die ehrenamtliche und die professionelle Schiene. Wir tun dies, weil wir es wollen, es können und häufig, weil wir es möchten, es uns einfach wichtig ist. Es ist unsere aktive Entscheidung, wie viel wir geben wollen und was wir lieber für uns behalten. Wenn dann andere unsere Bücher kaufen oder Leihgebühren in Bibliotheken entrichten, haben alle einen Mehrwert. Es gibt denjenigen, der das Wissen erhält und denjenigen, der durch seine Wissensvermittlung Geld verdient. Oder wir geben es ehrenamtlich weiter, weil wir einen Gemeinsinn darin sehen und es uns ein gutes Gefühl vermittelt.

Und dann gibt es Menschen, die das geistige Wissen anderer ungefragt nehmen, eigene Projekte damit umsetzen und dieses als das Eigene ausgeben. Sie gaukeln eine fachliche Kompetenz vor, die keine solide Basis hat. Denn die Basis entsteht erst dadurch, dass ich eigene Erfahrungen gemacht habe oder Sachverhalte durch Lernen und Studium erworben habe. Leider ist dies ein anstrengender Flaschenhals. Was bleibt, ist Authentizität, das kaum greifbare Gefühl dahinter, das Stück Ausstrahlung, das in meinem Gesicht zu finden ist. Das Gefühl des Gegenübers, das derjenige, der darüber spricht, weiß wovon er spricht.

Kein Mensch sollte etwas dagegen haben, wenn das eigene geistige Eigentum von anderen verbreitet wird. Nicht umsonst gibt es in den Sozialen Medien unter jedem Post den Teilen-Button. Bedingung ist aber, dass deutlich wird, woher dieses Wissen stammt (z. B. durch ein Zitat). Nein, ganz im Gegenteil, wir freuen uns sogar darüber, denn es ist eine Form der Wertschätzung. Und der Zitierte hat meist kein Problem damit, wenn die Person, die den Teilen-Button gedrückt hat, mehr Reichweite, vielleicht sogar mehr Geld verdient als derjenige mit der Urheberschaft. Wir denken in der Musik an die vielen Coverversionen.

Zitiere ich aber nicht und halte mein scheinbares Kompetenzfähnchen hoch, ist dies nicht nur verwerflich. Das Plagiieren kann sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Und dann gibt es den emotionalen Sektor. Ich habe eine persönliche Erfahrung gemacht und Schlussfolgerungen daraus gezogen, die ich verbreiten möchte, um anderen eine Hilfe zu sein. Ich berichte über einen Sachverhalt, meist ein emotionales Grenzgebiet, und kann nur deshalb darüber authentisch berichten, weil ich es selbst er- und durchlebt habe. Eine Erzählung von mir zu einem emotionalen Grenzgebiet ist nur dann wahrhaftig nachvollziehbar, wenn ich persönlich dort war. Das kann die Situation im Krieg sein, das kann genauso gut die Situation bei einem Trauerereignis sein. Oder anders gesagt: eine Geburt mit ihren ganzen Facetten, wie Schmerz und Emotionen, kann ich als Mann nicht beschreiben. Berichten kann ich nur aus der Beobachterperspektive, ich werde aber niemals die Erfahrungen einer Frau nachfühlen können.

Nun gibt es aber Menschen, die genau das tun. Sie berichten aus Kriegen, als ob sie da waren, berichten von der Geburt, als ob sie selbst entbunden haben, berichten von der Trauer ohne eigenen Verlust. Sie plagiieren einen emotionalen Zustand, den sie allenfalls theoretisch empfinden können. Ziehen dann weitergehende Schlussfolgerungen daraus und verbreiten sie. Sie gehen sogar so weit, dies gezielt einzusetzen, um damit unter dem Deckmantel Hilfsbereitschaft Dienstleistungen gegen Bezahlung anzubieten.

Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass es darunter Menschen gibt, denen es gelingt. Aber genauso gibt es diejenigen, denen es nicht gelingt – und hier bewegen wir uns in einem emotionalen Minenfeld. Denn wenn ich die Erfahrungen nicht vorweisen kann, kann ich mich auch nicht vollständig einfühlen. Es wird immer etwas fehlen. Ich plagiiere einen emotionalen Kontext und gehe das Risiko des Schadens ein, auch wenn ich es gut meinen sollte. Mein Gegenüber wird aber in aller Regel eine mögliche Authentizität nicht in Frage stellen, weil davon ausgegangen wird, dass man den Erzähler damit verletzen würde, indem man ihn hinterfragt. Anders als in einer wissenschaftlichen Arbeit, bei der am Ende ein Produkt vorliegt, welches prüfbar ist, fehlt die Möglichkeit meist auf der emotionalen Ebene.

Nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich achte denjenigen, der einen Mehrwert für den Einzelnen oder für die Gesellschaft generieren möchte. Aber jeder möge sich prüfen, ob er damit auch ehrlich sein kann, denn es gibt auf der Gegenseite Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation befinden und keine Zeit und keinen Raum für Prüfungen haben. Diese öffnen sich in ihrer Krisensituation, legen ihr Innerstes nach außen und gehen davon aus, dass Helfer ehrlich damit umgehen.

In einer Welt aus Fakenews, Plagiaten und von Computern generierten Informationen gibt es immer noch einen menschlichen Bereich, den der Emotionen, den ich zwar vorgaukeln kann, der aber ehrlich bleiben sollte, da wir sonst in Zukunft unsere menschliche Basis verlieren. Und was bleibt dann noch, wenn wir auch diesem Bereich nicht mehr vertrauen können?

Naturschutz geht nur nach vorne

Der Schutz der Natur mit ihren Arten ist wesentlicher Bestandteil unseres heutigen Handelns in der Politik, in der Gesellschaft, im privaten Umfeld. Klimawandel, Verschmutzung der Umwelt, das Artensterben sind in aller Munde. Die einen machen es radikal öffentlich, indem sie klebend Straßen blockieren, oder sich von Brücken abseilen, andere machen es im Stillen in ihren Gärten hinter dem Haus oder hängen heimlich Nistkästen in den Wald. Wie auch immer, wir versuchen die Tiere und Pflanzen zu schützen, die wir an unseren Orten kennen. Der Grundgedanke ist ähnlich, der Weg dorthin unterschiedlich.

Und warum tun wir das?

Weil wir „unsere liebgewonnenen Arten“ auch im kommenden Jahr wieder sehen wollen. Weil es uns freut, wenn wir es schaffen, Verhältnisse gegen alle Widernisse zu erhalten oder gar zu verbessern. Weil es uns gut gehen soll, also darf es um uns herum nicht schlechter werden. Geht es unseren Arten schlechter, bin ich persönlich betroffen.

Der stille, selbstlose Naturschutz in seiner Heimlichkeit ist dabei die nicht kontrollierbare Guerilla-Taktik. Nicht steuerbar, nicht auffällig. Sie wird um seiner Selbstwillen praktiziert. Davon reden mag keiner. Damit entfallen die Kontrolle und die Korrektur. Der Erfolg ist genauso vorhanden wie das Scheitern. Beklatscht wird allerdings auch nichts.

Daneben steht der offizielle Naturschutz. Getragen von Verbänden, Behörden, Institutionen, Menschen im Rampenlicht. Hier findet die Diskussion, der Disput oder der fachliche Austausch statt. Mal konstruktiv und zielorientiert, mal kontrovers und blockierend. Hier steht der Faktor Mensch im Zentrum, nicht mehr das, um was es geht. Und wenn Menschen im Spiel sind, die aus der Heimlichkeit heraustreten, werden sie zu Projektionsflächen. Erfolge und Misserfolge werden öffentlich. Ein Jeder kann teilnehmen. Ein Jeder steigt in eine Beurteilung ein. Der Protagonist, der ins Scheinwerferlicht trat, wird vogelfrei.

Findet das Tun im Verborgenen statt, gibt es nur die persönliche Hoffnung in die Zukunft hinein. Eine Vergangenheit kann aufgrund des verborgenen Handels nicht von anderen beurteilt werden, allenfalls in der eigenen kritischen Rückschau.

Findet das Tun in der Öffentlichkeit statt, verbindet sich damit immer eine Geschichte, ein Zeitstrang, der dokumentiert ist oder in der Erinnerung Anderer verbleibt. Die Konsequenz ist, dass ein in die Zukunft hinein ausgerichtetes Handeln immer auch mit und durch die Vergangenheit beurteilt wird. Eine isolierte, neutrale Bewertung des Aktuellen, unabhängig der vergangenen Geschehnisse, ist nahezu unmöglich. Wir ähneln Elefanten, die auch nicht vergessen können.

Die geäußerte Kritik, mal konstruktiv, mal verletzend, führt zu Abwehrhaltungen, zur Verteidigung. Ideen müssen erklärt werden, denn das Eingeständnis eines möglichen Fehlers wäre eine Niederlage, sie führt nicht zu einer Optimierung eines Sachverhaltes, ein Überdenken, sondern zur Ablehnung durch andere. Eine persönlich gefühlte Abwertung ist die Folge. Verteidigung hingegen ist das Abstecken von Raum, der Aufbau scheinbarer Kompetenz, für die wir noch Unterstützer suchen, um die eigene Stellung zu untermauern und aufzuwerten und schnell wird daraus ein Streben nach Macht. Ich bin überzeugt von meinem Tun, also müssen die Anderen irren. Den Mittelweg gibt es nicht. Es wird also zu meiner heiligen Verpflichtung weiterzugehen, komme was wolle. Der Anspruch wird absolutistisch.

Gleichzeitig treibt die Veröffentlichung des eigenen Tuns andere an, die durch ihre geäußerte Kritik selber aufgewertet werden. Werden sie in ihrer Kritik bestätigt, werden sie zu scheinbaren Fachleuten, die sich das Recht herausnehmen, den Ideengeber zu degradieren, um sich selber zu erhöhen. Ein Konkurrenzkampf wird entfacht.

Das, was ursprünglich der Naturschutz sein sollte, wird menschlich, der Fokus verschiebt sich und der Naturschutz als Aufgabe dient nur noch als Label, als vorgeschobene Begründung. Irgendwann fehlt schlicht die Zeit, sich darum zu kümmern. Die gutgemeinte Aufgabe verkommt. Die Selbstlosigkeit, höchstens als persönliche, weil private Genugtuung, verschwindet. Wir wollen öffentlich gefeiert werden. Unser Streben ist Anerkennung. Mangelnde Kompetenz und eigene Fehler kaschieren wir durch das Sammeln von Weggefährten. Je mehr mir folgen, umso höher mein Ansehen. Es ist unbedeutend, ob es Personen sind oder das Rating von Publikationen.

Naturschutz geht nur nach vorne, so wie wir jeden Morgen aufstehen. Wir leben nach Vorne, dort können wir entscheiden, gestalten. Nach hinten können wir nicht leben, dort verändert sich nichts mehr. Die Vergangenheit ist unbeweglich. Sie ist das Buch, in dem wir lesen können, mehr nicht. Das Buch selbst rührt sich nicht.

Aber jeder kann aus seiner eigenen Vergangenheit lernen und für sich prüfen, was in seinem Fokus steht. Naturschutz ist eine zu ernste Sache und sie hat heute keinen Raum mehr für Menschlichkeiten, wollen wir langfristig hier leben und überleben. Der temporäre Erfolg in der Vergangenheit hat in der Zukunft keinen Wert. Im Naturschutz geht es vordringlich um die Natur, die letztlich Auswirkungen auf uns hat. Aber wir Menschen stehen in dieser Reihenfolge nur an zweiter Stelle! Überleben werden wir langfristig nur, wenn wir aktiv aus dem Scheinwerferlicht heraustreten. Oder sagen wir es anders: Wir werden erfolgreich sein, wenn wir demütig werden und einsehen, wer hier der Platzhirsch ist.

Männer trauern anders - biologische Hintergründe

Warum widmet sich keiner dieser Thematik, wo sie doch in jedem von uns schlummert, wenn sie ein Mann sind. Unsere Biologie und Evolution und ihre Auswirkungen auf unser Trauerverhalten. Liegt es daran, dass Wissenschaft häufig männlich dominiert ist und damit die Angst besteht, dass wir Schwäche preisgeben müssen, wenn diese dann auch noch wissenschaftlich messbar wären? Ist diese sogenannte Schwäche dann wissenschaftlich verbrieft und damit in Stein gemeißelt, in einer Zeit, in der Wissenschaft in Teilen einen Religionsstatus bekommen hat? Ist das die Angst, die die Trauerforschung den Psychologen und Soziologen zuschiebt, welche doch, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, eher die weichen Wissenschaften vertreten, die keine sichtbaren, weil anfassbare Fakten liefern kann, weil dahinter keine Zelle oder ein Molekül steht?

Ist es das? Und sind wir eigentlich nicht schon einen Schritt weiter? Ist das nicht altes Rollendenken von konservativen alten, weißen Männern?

Und doch spielt diese Sichtweise immer noch eine Rolle. Leider, auch im Jahre 2023! Schauen wir doch mal aus der Sicht der Evolutionsbiologie auf die Thematik.

Acht Milliarden Menschen leben auf dieser Erde, also ungefähr vier Milliarden Männer. Jeder Mensch besteht aus ca. hundert Billionen Zellen (1). Jede einzelne davon trägt das gesamte genetische Informationsmaterial unserer Art. Jede Zelle ist bestückt mit einem Faden von zwei Metern Länge, mit all dem, was wir seit unserer Entstehung erworben haben, entweder durch zufällige Mutation oder durch die Epigenetik.

Wuchtige Zahlen für ein Thema, welches kaum jemand beachtet. Und doch sind die Auswirkungen messbar und zuweilen einschneidend, nämlich dann, wenn sie tödlich sind.

In den letzten Jahren hat sich die Trauerforschung mächtig weiterentwickelt. Sie hat ihren Ort des Tabuthemas verlassen. Immer mehr Informationen fließen aus allen Bereichen der Wissenschaften zusammen. Einerseits weil sich die Menschen dafür aus eigenem Antrieb interessieren, aber auch weil es ein Wirtschaftsfaktor ist. Trauernde Menschen in einem Unternehmen sind ein Kostenfaktor. Menschen beschäftigen sich in aller Regel erst mit einer Thematik, wenn ein bestimmter Druck besteht. Natürlich ist dieser Bereich mit zahllosen Klischees belegt. Gerade wir Männer haben die Eigenart schwierige Themen, wie zum Beispiel die eigene Gefühlswelt ins Lächerliche zu ziehen. Aber jedem Klischee liegt eine Wahrheit zu Grunde, sonst gäbe es dieses Klischee nicht (2).

Betrachten wir unsere Geschichte, dann handelt der sogenannte „moderne“ Mensch, erst seit wenigen hundert Jahren hier auf der Erde. Wir können den Beginn recht exakt festlegen: die industrielle Revolution: ca. 1750. Dies ist der Zeitpunkt, in der sich Gesellschaften grundlegend änderten, weil bisherige Rollen aufgebrochen wurden (3). Vieles in der Vergangenheit war der körperlichen Ausstattung geschuldet. Die tägliche Arbeit bedurfte viel körperliche Muskelkraft. Durch den Einsatz von Maschinen waren Arbeiten nicht mehr nur den körperlich Starken, zumeist den Männern vorbehalten. Die Frauen bekamen nun in beruflichen Dingen neue Möglichkeiten. Sie konnten Aufgaben der Männer übernehmen und taten dies auch. So entwickelten sich langsam Wege, die es den Frauen ermöglichten, ihre bisherige Rolle aufzubrechen. Nicht in jedem Land der Erde zur gleichen Zeit. Aber es war ein Anfang gemacht. Die Veränderungen breiteten sich in alle Bereiche hinein aus und heute sprechen wir von dem Anthropozän. Der Mensch hat die Welt vehement verändert. Nicht nur zum Guten.

Vor diesem Einschnitt gab es eine Zeit, die viele hunderttausend Jahre angedauert und dabei Strukturen geschaffen hatte, die das Überleben des Menschen sicherte. Das Individuum passt sich über die Generationen hinweg den natürlichen Bedingungen an, um in diesem Lebensraum optimal zurecht zu kommen. Wie alle Organismen dieser Erde war unser Handeln auf das Überleben und die Fortpflanzung ausgerichtet.

Ein paar wenige Eckpunkte, um diese Zeitspanne zu umreißen: vor sechs Millionen Jahren haben wir begonnen auf zwei Beinen zu laufen. Dadurch wurden die Hände frei und wir konnten mit ihnen neue, zusätzliche Aufgaben übernehmen. Vor drei Millionen Jahren haben wir die ersten Steinwerkzeuge entwickelt, eine Folge aus der Befreiung der Hände, die diese Werkzeuge nun tragen und einsetzen konnten. Seit 800.000 Jahren nutzen wir das Feuer. Es wärmt uns, es schützt uns und wir bereiten unser Essen damit zu, so dass es sich nach dem Gahrungsprozess im Verdauungstrakt besser und nachhaltiger aufschließen lässt. Seit 12.000 Jahren gibt es die Landwirtschaft und damit verbunden erste kleinere, dauerhafte Siedlungen, aber damit auch gleichzeitig das Beenden des nomadischen Lebens. Seit 6.000 Jahren gibt es stadtähnliche Siedlungen, erste Verwaltungsstrukturen und die Schaffung von Arbeiten, die nicht mehr primär der Ernährung dienten, wie zum Beispiel Handwerker, die Leistungen gegen Entlohnung von anderen Menschen übernahmen. Die eigentliche Verstädterung gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert.

Dies alles ist eine grobe Entwicklung, die sich im genetischen Material jedes Menschen abgebildet hat, teils durch natürliche Mutation, teils durch das Erlernen von erworbenen Eigenschaften (Epigenetik). Der Mensch von heute ist das Resultat seiner Geschichte und sein Erbgut ist das Spiegelbild. Alles, was nicht unmittelbar schädigend wirkte, verblieb im Erbgut und kann heute bei Bedarf wieder abgerufen werden.

Wechseln wir die Ebene von der Population hin zum Individuum.

Vor der industriellen Revolution ging es darum die Familie zu ernähren. Es bildete sich eine Rollenverteilung aus, die die Bedingungen optimal bedienen konnte. Der Mann ging, überspitzt formuliert, auf die Jagd oder bestellte irgendwann später die Felder, während die Frau die Kinder bekam, diese versorgte und sich um das Heim kümmerte. Klingt klischeehaft. In jedem Klischee liegt etwas Wahrheit!

Haben wir oben die größeren Schritte der menschlichen Population umrissen, folgen jetzt ein paar Beispiele auf Individualebene: Männer schmecken besser salzig für Fleisch, Frauen eher süß für Früchte. Frauen haben einen um 20 % höheren Körperfettanteil als Männer. Männer haben 30 % mehr Schweißdrüsen als Frauen aufgrund der körperlichen Arbeit und damit verbunden der Notwendigkeit den Körper intensiver kühlen zu müssen. Frauen hören in allen Bereichen feinere Unterschiede, bis auf den Bereich der Tierstimmen. Frauen sehen anders und haben auch im seitlichen Blickbereich eine höhere Wahrnehmungsfähigkeit als Männer, die eher einen fokussierten Tunnelblick (Jagd) haben, etc. Viele Unterschiede werden heute in Büchern teilweise humorvoll beschrieben (4,5). Dabei geht es nicht um eine Bewertung dieser Unterschiede, sondern um ihre Wahrnehmung. Einen Aspekt, den wir voneinander streng trennen müssen.

Neben den körperlichen Unterschieden gab es eine soziale Rollenverteilung. So sind Frauen, durchschnittlich betrachtet, stärker in der Kommunikation. Dadurch, dass ihre Aufgaben eher im familiären Umfeld lagen, waren sie im permanenten Austausch mit Kindern und anderen Familienmitglieder. Dies ist auch an der Gehirnarchitektur zu erkennen. Die Männer hingegen hatten ihren Arbeitsplatz überwiegend draußen, vielfach in kleinen Gruppen oder allein, mit einem geringeren Gesprächsanteil, der, wenn er eingesetzt wurde, zielgerichteter ausgeprägt war (6).

Diese Eigenschaften, gewachsen, entwickelt, erworben und gespeichert über viele tausend Jahre, werden heute in seiner gesamten Ausprägung nicht mehr benötigt. Evolutionär betrachtet ist der Zeitraum seit seiner grundsätzlichen Veränderung vor knapp dreihundert Jahren ein sehr kurzer Zeitraum. Das bedeutet nicht, dass Änderungen nicht möglich sind, sie bedürfen aber Zeit, einen großen Aufwand und besonders einem Verständnis dafür.

Welche Auswirkungen haben diese evolutionären Anpassungen an die Trauer des Mannes?

Die Art und Weise, wie wir gelebt haben und wie die Bedingungen auf uns einwirkten, haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Bin ich beispielsweise in der Kommunikation stark, habe ich evtl. besseren Zugriff auf meine Gefühle. Dann kann ich mich damit intensiver auseinandersetzen, um Krisen zu bewältigen. Frauen sind in diesem Bereich den Männern überlegen. Es lassen sich Unterschiede statistisch messen: Verstirbt beispielsweise die Partnerin und bindet sich der Mann (der keine gute Trauerverarbeitung hat) nicht wieder in den kommenden zwei bis drei Jahren neu oder wird er in einer Gemeinschaft aufgefangen, ist seine Lebenserwartung um bis zu 10 Jahren reduziert. Er stirbt aber nicht einfach so, sondern er versucht häufig durch Suchtverhaltensstrategien das emotionale Loch zu schließen (Uraufgabe: Versorgung der Familie). Die Nachsterblichkeit nach dem Verlust der Partnerin ist in den ersten sechs Monaten nach dem Ereignis bei Männern um bis zu 100 % gegenüber der normalen Sterblichkeit, erhöht (7).

Viele Dinge in der Trauer lassen sich heute bis auf die Molekularebene unserer Zellen beobachten und betreffen sowohl Männer als auch Frauen. Die Frage ist, wer kommt besser mit den Veränderungen klar. Häufig ist es im Bereich der Trauer das weibliche Geschlecht. Sie sterben, statistisch betrachtet, nach dem Verlust des Mannes, nicht früher. Sie leben sogar zwei Jahre länger, wenn sie nicht in einer Partnerschaft sind. Gehen wir in den Bereich der Epigenetik können wir bei Traumata (9), die durch einen Verlust entstehen können, direkte Molekülanlagerungen an bestimmten genetischen Abschnitten beobachten, die beispielsweise zu erhöhter Depressionsrate, Suiziden oder Krankheiten führen können. Mittlerweile weiß man im Bereich der Psychoneuroimmunologie (8), dass im Gehirn viele Verschaltungen neu geschaffen werden müssen, weil sich durch den Tod ein Lebensweg von Grund auf ändert. Das Immunsystem ist in dieser Phase geschwächt und vorerkrankte Menschen haben dann ein höheres gesundheitliches Risiko. Männer sind, und auch das ist mittlerweile weitgehend akzeptiert, bei aller muskulärer Kraft, die uns innewohnt, das schwächere Geschlecht.

Aber was folgert daraus?

Wichtig ist zu erkennen, dass wir die Ausprägungen von Trauer nicht nur in den Bereich der Seele, der Psychologie und der Soziologie verorten, sondern dass wir auch den biologischen, evolutionären Aspekt mit einbeziehen. Wir sind zwar in der Geschichte des Lebens die Sieger des menschlichen Weges, denn wir haben überlebt, aber wir sind auch die Amphoren dieser Geschichte, die in uns abgespeichert ist. Wir stehen vor grundlegenden, gesellschaftlichen Veränderungen, die manchmal dynamischer sind, als es die Biologie sein kann. Beachten wir diesen Aspekt in der Begleitung eines trauernden Mannes, können wir viel gewinnen und individueller begleiten.

Manchmal ist es dem trauernden Mann wichtiger, dass jemand da ist und schweigt, als wenn er Gespräche über seinen Gefühlszustand führen muss. Und manchmal ist genau dieser Umstand für eine Frau schlecht auszuhalten. Oder anders gesagt: gehen sie mit einem trauernden Mann spazieren oder wandern, dann muss er sie nicht anschauen, denn Augenkontakt steht in der männlichen Evolution immer noch für eine Drohgebärde und das braucht er in seiner akuten Phase nicht auch noch.

 

Quellen

1. https://www.spektrum.de/frage/wie-viele-zellen-hat-der-mensch/620672

2. Block, J.H. (1976): Issues, problems and pitfalls in assessing sex differences: a critical review of the psychology of sex differences.- Merill-Palmer Quarterly 22: 283-308.

3. Kreuels, M. (2017): Männerstille, BOD, Norderstedt: 100 S.

4. Moir, A. & D. Jessel (1990): Brainsex – Der wahre Unterschied zwischen Mann und Frau.- Econ, Düsseldorf.

5. Pease, A. & B. Pease (2002): Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken.- Ullstein, München.

6. Kirchstein, H. (2015): Männer trauern anders. Typisch männliche Strategien angesichts von Tod und Verlust – und wie sich damit umgehen ließe.- Vortrag vor der Selbsthilfegruppe verwaister Eltern, Bramsche-Ueffeln am 23.4.15.

7. Weißbach, L. & M. Stiehler (2013): Männergesundheitsbericht 2013: Psychische Gesundheit.- Hans Huber: 276 S.

8. Hasten, C. & C. Schubert (2017): Der Körper trauert mit.- Psychoneuroimmunologie der Trauer.- Leidfaden 2/2017: 10-14.

9. Yehuda, R, er al. (2016): Holocaust Exposure Induced Intergenerational Effects on FKBP5 Methylation.- Biol. Psychiatry 80 (5): 372-380.

Trauer als Phase des Innehaltens

Das Leben besteht aus Phasen. Sie betreffen unser Wachstum vom Kleinkind, über das Schulkind zum Teenager, dann der junge Erwachsene. Wir gehen zur Schule, studieren oder machen eine Ausbildung, gehen Arbeiten. Wir testen uns an Partnern, heiraten, trennen uns vielleicht wieder, erziehen unsere Kinder, lassen sie ziehen, werden zu Rentnern. Wir haben gute Phasen genauso wie Schlechte. Alles kostet seine Zeit. Manche Phasen dauern länger, andere sind eher Blitzlichter. Phasen wechseln sich aber, kommen wieder, erscheinen einmal und verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Eine wirkliche Konstanz gibt es nicht, denn die Länge ist nicht absehbar. Sicher ist nur, dass alles im Leben irgendwie in Phasen einzuteilen ist.

Genauso verhält es sich, wenn wir einen Teil in unserem Leben, einen nahen Menschen, den geliebten Job, die Heimat, ein Haustier, unsere Gesundheit verlieren. Auch das kann in einer Phase dargestellt werden. Gesundheit kann manchmal dauerhaft verloren gehen und der Tod eines geliebten Menschen ist definitiv nicht umkehrbar. Folgert daraus eine endlose Phase? Nein!

Die betroffenen Menschen, die in ihr feststecken, können ihr mögliches Ende nicht absehen. Es scheint sich ein dauerhafter Zustand einzustellen, was es noch schlimmer macht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Phase der Trauer keine definierte Länge hat. Bei dem Einen dauert sie Tage, beim anderen Wochen und Monate, beim Nächsten Jahre oder Jahrzehnte. Meine Worte dazu, dies auch noch als Phase zu klassifizieren, als ob es mal eben so endet, muss für den Einen oder Anderen ein Schlag ins Gesicht sein. Ich weiß. Verwechseln sie bitte Sachlichkeit verbunden mit Erfahrungswerten nicht mit Herzlosigkeit. Die Realität ist nun einmal ein kaltes Phänomen.

Sezieren wir die Trauer mal etwas:

Wir haben etwas verloren, an dem wir gehangen haben. Wir trauern. Die einen trauern um den Verlust, andere bedauern sich selbst. Unsere Aufgabe im Leben ist es dieses Erlebnis zu verarbeiten, ihm im Leben einen Platz zu geben, denn das Leben geht weiter. Für einige undenkbar, die Realität hat diese Härte. Jeder Tag ist neu, jeder Tag birgt aber auch neue Chancen. Wir können, wenn wir die Kraft und den Mut aufbringen, diese nutzen und annehmen oder wir versinken im Sumpf der Traurigkeit. Die Zeit mit ihren Sonnenaufgang- und -untergängen ist wie die Küchenuhr über der Türe bei uns zu Hause. Sie tickt unerbittlich weiter, da kann kommen was mag. Es ist schwer, keine Frage, aber welche Konsequenz folgert  daraus:

Wir können aufgeben, stehen bleiben und keinen weiteren Entwicklungsschritt mehr gehen. Der Tod des Anderen ist auch der Meinige. Der Schmerz ist grenzenlos und ein sinnstiftendes Weitergehen erscheint unmöglich.

Wir können versuchen einen Weg zu finden, nach vorne zu gehen. Die Trauer annehmen, ihr einen Platz zuweisen und den nächsten Schritt gehen. Dies bedarf Kraft und Mut. Sie steckt in uns, auch wenn wir es gerade nicht fühlen können.

Wir wissen, dass es ein Leben danach gibt, wir haben aber selber nicht die Kraft und brauchen Unterstützung. Einsicht ist schon Teil des Vorwärtsgehens.

Wir haben eine Selbstverantwortung für uns, die uns keiner nehmen kann. Das tut ja auch keiner, sondern es unsere Entscheidung, ob jemand Anderes sie uns nehmen will. Der Verstorbene ist der Letzte, der daran interessiert ist, sie uns zu nehmen. Es gibt viele Hilfsangebote, die wir nutzen können, wenn wir selber nicht weiter wissen. Wir sind Menschen, die Wissen austauschen, das ist unsere menschliche Eigenschaft. Jeder ist Herr seiner Entscheidungen.

Trauer ist eine Phase. Ich kann sie als Erfahrung annehmen, ich lerne, wachse an ihr, damit sie mich nicht dauerhaft niederwirft. Ich komme stärker aus ihr hervor, ich kann konzentrierter und umfänglicher mein neues Leben annehmen, wenn ich mich durch sie hindurch gearbeitet und gefühlt habe. Ich weiß dann besser, was ich will und was ich nicht will. Zur Trauer gehört die Reflexion von Vergangenem. Ich kann alte Dinge aufarbeiten, sie abschließen, meine persönlichen Konsequenzen aus ihr ziehen. Klingt alles so einfach, dabei ist der in seinen Höhen sauerstoffarme Mt. Everest nur ein kleiner Hügel, den es zu überwinden gilt.

Trauerjahre sind Phasen des Innehaltens bei aller Schwere, Dunkelheit und Schmerzen. Es ist die härteste Phase, die wir als Menschen erfahren können. Es ist aber auch die Wertvollste, wenn wir sie aktiv durchleben und an ihr wachsen. Keine Phase wird uns so sehr prägen, wie diese. Und somit bekommt bei aller Härte auch diese Phase etwas Positives. Wichtig ist nur der Wille, das Licht dahinter zu suchen. Keiner weiß, wann es wieder heller wird. Das einzige was vielleicht hilft, ist die Gewissheit, dass sie als Betroffener oder Betroffene nicht der erste Mensch sind, der diese Erfahrung macht. Sie reihen sich ein in eine lange Kette von Menschen, die das auch schon erlebt haben und die nicht daran zerbrochen sind. Sie werden es auch nicht, denn danach wird es heller!

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